Seit mindestens 340 Jahren wird im Tecklenburger Land Grünkohl verzehrt

Von Dr. Christof Spannhoff

Winterzeit ist Grünkohlzeit! Aus diesem Grunde finden in dieser Zeit ringsum die sogenannten „Grünkohlessen“ statt, bei denen die Mitglieder von Vereinen und Clubs aller Art das wohlschmeckende Gericht aus der zur botanischen Familie der Kreuzblütler gehörenden Pflanze „schmausen“ können.

Grünkohl – ein altes norddeutsches Kulturgewächs

Grünkohl, regional auch „Braun-“ oder „Strunkkohl“ genannt, ist ein altes norddeutsches Kulturgewächs. In den schriftlichen Quellen lässt er sich aber erst seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert nachweisen, so z.B. für Norddeutschland 1586 in einer Beschreibung des Oldenburger Landes („brauner Kohl“; siehe „Zum Thema“). Ob bereits mit dem um 1350 im Kloster Marienfeld (Harsewinkel) zubereiteten „koel of

[oder] moes“ speziell Grünkohl oder allgemein Kohlgemüse gemeint ist, muss unentschieden bleiben. Auch bei der in der um 1550 verfassten „Chronik des Schwesterhauses Marienthal“ in Münster erzählten Geschichte, dass die Nonnen, als sie nach der Vertreibung durch die Täufer in die Stadt zurückkehrten, ihre Bleiche, das ganze Gartenland, den Kirchhof und den Herrengarten mit „koilmose“ bepflanzt vorfanden, ist es nicht sicher zu entscheiden, ob es sich hier ausdrücklich um Grünkohl oder generell um Kohlgewächse handelt.

Zubereitung früher und heute

Anno 1604 bekamen die Schützlinge eines Hamburger Waisenhauses eindeutig „grünen Kohl“ mit Speck aufgetischt, während das krause Gemüse bei den heutigen Grünkohlessen zumeist mit den Fleischbeilagen gekocht und dann getrennt mit Kartoffeln serviert wird. Ursprünglich wurde der Grünkohl jedoch als Eintopfgericht zubereitet, dem neben deftigem Schweinefleisch (z.B. Speck oder Wurst) zum Andicken Grütze oder später Haferflocken und seit dem 18. Jahrhundert auch die Kartoffel zugefügt wurde. Grünkohl erfreute sich in allen sozialen Schichten großen Zuspruchs. Standesunterschiede zeigten sich nur in Art und Menge der Fleischbeilagen und in der Häufigkeit, in der die Mahlzeit verzehrt wurde.

Beliebtes Gemüse – bei Mensch und Vieh

Seine Beliebtheit verdankte der Grünkohl seiner außerordentlichen Genügsamkeit, da er zu jeder Jahreszeit wuchs und selbst unter ungünstigen Witterungs- und Bodenverhältnissen kaum der Pflege bedurfte. Bestimmte Sorten konnten zudem als Viehfutter verwertet werden, so dass Mensch und Tier ein Auskommen hatten. Da die Ernte nach dem ersten Frost einsetzte und sich je nach Bedarf bis in das Frühjahr hinziehen konnte, entfiel im Gegensatz zu anderen Gemüsen die Vorratshaltung im Winter. Der Kohl blieb auf dem Feld stehen und konnte täglich frisch geerntet werden. Diese Eigenschaften des Grünkohls beobachtete bereits Fabio Chigi, der spätere Papst Alexander VII., bei seinem Aufenthalt in Münster 1644 bis 1649 im Zuge der Verhandlungen zum „Westfälischen Frieden“: „Man sieht auf den Feldern auch häufig bläulichen Kohl, der nimmer verdirbt, währt lange auch der Winter, und seine Gaben verteilt an die Menschen, Ochsen und Schweine.“

Grünkohlanbau und -verzehr im Tecklenburger Land

Auch im Tecklenburger Land hat der Anbau von Grünkohl eine lange Tradition. Der aus Westerkappeln stammende Tecklenburger Kreisarzt Dr. Ludwig Leonhard Finke (1747-1837) erwähnt anno 1780, dass die Tecklenburger häufig „Grünkohl, selten Weißkohl“ zu sich nehmen. Den ersten Nachweis aber über Grünkohlanbau und -verzehr in der Region findet sich im Jahr 1672 in der Beschreibung der Grafschaft Tecklenburg durch den Wersener Pfarrer Gerhard Arnold Rump. Er notiert im zweiten Kapitel „Von der Gelegenheit / Art und Beschaffenheit der Grafschafft Tekelenburg“ auf Seite 20: „So ist auch was anlanget die Land-arth und der Acker nebenst Wiesengewechs diese Grafschafft keinem Theil Westfahlens schüldig zu weichen; Dan es wächset alhie guter schierer Roggen / weisser Weitzen / Gersten / Buchweitzen / weiß- und schwartzer Habern / Rübesahmen / guter gesunder brauner Kohl / auch [S. 21] trefflich guht Obst / sonderlich in den Adelichen und anderen wohlzugerichteten Garten“. Somit blicken Anbau und Verzehr von Grünkohl im Tecklenburger Land auf eine mindestens über 340-jährige, schriftlich nachweisbare Geschichte zurück!

Zum Thema

Der Gelehrte Justus Lipsius (1547-1606) berichtete in einem Brief anlässlich einer Reise durch das Oldenburger Land im Jahre 1586 in seine Heimatstadt Brabant über den Grünkohl: „Da bin ich in Oldenburg. Wo liegt das Ding wirst Du fragen? Es ist ein westphälisches Städtchen, ein wahres Nest […] Alles Übel, was Menschen treffen kann, hat mich betroffen: denn alle Elemente waren wider mich in Aufruhr. Und die Speisen – kaum menschlich sind sie. Du kennst meinen Körper, und weißt, daß nur ausgewählte Speise ihn empor hält. Nun denke Dir die Kost in den hiesigen Wirthshäusern! Was sag’ ich, Wirthshäuser? Ställe sind es. […] Da sitzt man dann mit den Fuhrleuten und Schweinetreibern um’s Feuer, trinkt, was sie trinken, und bei jedem Trunk reicht man sich feyerlich die Hand. Indeß wird der Tisch gedeckt. Siehe da, das erste Gericht! Dicker Speck und roh dazu! O mein armer Magen! Was soll ich machen? Andere Kost fordern, das darf ich nicht. Doch da kommt der ersehnte zweyte Gang, die Hauptschüssel! Eine ungeheure Kumme voll braunen Kohls! Einen Finger breit darüber her fließt die Brühe von Schweinefett. Diesen Ambrosia essen meine Westphälinger nicht, sie verschlingen ihn. Mich ekelt er an. […] Das letzte Gericht ist ein Stück Käse, so verdorben, daß er fließt. Aber gerade das halten sie für den Ausbund von Leckerey. So ist’s auf dem Lande, nicht viel besser in den Städten.“

Grünkohl

Grün- oder Braunkohlpflanze auf einem Kupferstich von Matthäus Merian 1626
(Stöwer, Herbert, Kupferstiche Lippischer Städte und Landschaften, Lemgo 1983, Nr. 44)

Quellen und Literatur

  • Große-Dresselhaus, Friedrich, Wie der Tecklenburger Kreisarzt vor 150 Jahren seine Tecklenburger sah, in: Heimatjahrbuch des Kreises Tecklenburg für das Jahr 1926, S. 9f.
  • Jostes, Franz, Westfälisches Trachtenbuch. Volksleben und Volkskultur in Westfalen, 2. Aufl. bearb. u. erw. v. Martha Bringemeier, Münster 1961, S. 64-68.
  • Rump, Gerhard Arnold, Des Heil. Röm. Reichs uhralte höchlöbliche Graffschafft Tekelenburg, Bremen 1672, S. 20f.
  • Westphal, Martin, Kohl- und Pinkelfahrten. Geschichte und Kultur einer Festzeit in Norddeutschland, Münster u.a. 1998, S. 13-24.