Von Dr. Christof Spannhoff

In den katholischen Gegenden Westfalens, vor allem im Münsterland, gibt es ein typisches Fastengericht, das traditionell am Karfreitag verzehrt wird: die Struwen. Dabei handelt es sich um kleine Hefepfannkuchen, die in reichlich Fett ausgebacken werden. Vielfach werden dem Teig auch noch Rosinen beigegeben. Nach dem Backen werden die Fladen mit Zimt und Zucker bestreut.

Doch woher kommt eigentlich die Bezeichnung für dieses Gebäck? Was bedeutet Struwen? Es handelt sich um ein niederdeutsches Wort, dessen hochdeutsche Entsprechung Strauben ist: ein süßes Backwerk aus Pfannkuchenteig, das vor allem im süddeutschen Raum bekannt ist. Auch im Niederländischen ist das Wort erhalten. Struif bedeutet hier ‚Pfannkuchen‘ oder ‚Omelette‘. Nach Skandinavien sind Gebäck und Bezeichnung vermutlich durch die Wirtschaftsbeziehungen der Hanse gelangt. Schwedisch struva bezeichnet einen ‚Spritzkuchen‘.[1]

Das Wort Struwen ist bereits sehr alt. Es gehört zu altsächsisch bzw. altniederdeutsch strûf ‚schuppig, struppig, gesträubt‘. Dieses Wort wird in den sogenannten „Isidorglossen aus Straßburg“, die im 10. oder 11. Jahrhundert aufgezeichnet wurden, zweimal genannt. Einmal erscheint es in dem Abschnitt, der mit De piscibus ‚Von den Fischen‘ überschrieben ist. Dort wird lateinisch tortuosa ‚gewunden, verwickelt, verworren‘ mit struua (lies: struva) übersetzt. Ein weiteres Mal ist struua unter der Überschrift De pecoribus ‚Vom Vieh‘ die Übersetzung für pillis in contrarium versis ‚struppiges, gesträubtes Fell‘.[2] Im Mittelniederdeutschen bedeutet strûf ‚empor starrend, rauh, uneben, nicht glatt ‘.[3] Das Gebäck hat seine Bezeichnung also von der unebenen Oberfläche, die nach dem Backen in heißem Fett entsteht, erhalten.

Doch seit wann werden Struwen eigentlich verzehrt? Der früheste Beleg für dieses Backwerk stammt aus dem Jahr 1090. Damals ordnete Bischof Erp von Münster das Präbendenwesen in der Abtei Freckenhorst. In der darüber ausgestellten Urkunde heißt es, dass die Stiftsdamen an 25 Festtagen „ad cęnam […] genus cibi, quod vulgo struua [lies: struva] dicitur“, also ‚zur Mahlzeit die Art Speise, die gewöhnlich struva genannt wird‘, bekommen sollten.[4] Wie die Struven damals zubereitet wurden, geht aus der Urkunde nicht hervor. Dass Struwen eine Mehlspeise waren, zeigt eine Lippische Rechnung aus dem Jahr 1456: meel to den struven to backende. Im „Teuthonista of Duytschlender“ aus dem Jahr 1475, einem (nieder-)deutsch-lateinischen Wörterbuch des Gerard van der Schueren, wird struyve mit lateinisch placenta, scribilita oder laganum, also ‚Kuchen‘ bzw. Eierkuchen, dünner, in Öl gebackener Kuchen‘, übersetzt. Ein ausführliches Struwen-Rezept findet sich in einem ostfriesischen Kochbuch aus dem Jahr 1656: „Om struyven te mengen en backen. Men neemt 4 ayeren, 5 lepel melck, een weynich safferan en wat suyker, fyn weten meel, dat door en ander gemenget, tot dat het styf wort, en dan met een mangelstock rolt soo dun al ment krygen kann, dan by stuckjes afgesneden, mit een rolleken kruys gemaeckt en dan in ofgeklarede botter gebacket.“[5] Das ostfriesische Rezept zeigt, dass zum einen die Struwen ursprünglich nicht auf Westfalen oder das Münsterland beschränkt waren und zum anderen, dass die Zubereitungsart sicherlich regional sehr unterschiedlich gewesen ist, denn die Zutaten weichen doch erheblich von den heutigen, im Münsterland gebräuchlichen Ingredienzien ab. Woraus also die 1090 erwähnten Struwen bestanden, wissen wir nicht. Sie werden sich vermutlich von der heutigen Form unterschieden haben. Sicher ist nur, dass die mittelalterlichen Struwen aus Mehl bestanden und in Fett gebacken wurden. Kontinuität besitzt somit nur die Bezeichnung Struwen für ein Gebäck mit besonderer Zubereitungsart (Fettgebäck), dessen Zutaten sich aber im Lauf der Jahrhunderte verändert haben dürften.

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[1] Ernst Heinrich Segschneider, Heißwecken als Fastnachtsgebäcke im Hanseraum, in: Nahrung und Tischkultur im Hanseraum, hrsg. v. Günter Wiegelmann u. Ruth Mohrmann, Münster 1996, S. 429–461, hier S. 458.

[2] Heinrich Tiefenbach, Altsächsisches Handwörterbuch. A Concise Old Saxon Dictionary. Berlin u. New York 2010, S. 378.

[3] Karl Schiller u. August Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, 6 Bde., Bremen 1875–1881, Bd. IV, S. 444f.

[4] Regesta Historiae Westfaliae, Codex Diplomaticus I, bearb. v. Heinrich August Erhard, Nr. 165 (S. 130). Als Erster scheint Franz Jostes diesen Beleg entdeckt zu haben. Franz Jostes, Nachträge zum mittelniederdeutschen Wörterbuche, in: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, Jg. 1888 (1989), Heft XIII, S. 39–43, hier S. 42 („Altwestfälische Brodarten“). Auch Wilhelm Kohl, Das (freiweltliche) Damenstift Freckenhorst, Berlin u.a. 1975, S. 93 weist bereits auf diese Speise hin. Vgl. ferner: Leopold Schütte, Wörter und Sachen aus Westfalen 800 bis 1800, 2. überarb. u. erweiterte Aufl., Münster 2014, S. 716.

[5] Schiller/Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Bd. IV, S. 444f.