Von Dr. Christof Spannhoff

Beliebte gesellige Veranstaltungen von Heimatvereinen in der Region sind heute die sogenannten “Schnadgänge”. Schnad ist ein altes niederdeutsches Wort und bedeutet ‚Grenze‘. Die von den Heimatvereinen durchgeführten Grenzgänge sollen also an eine Zeit erinnern, als es noch keine amtliche Kartierung gab und man sich anderer Mittel bedienen musste, um den Grenzverlauf festzustellen. Bevor es ein genaues amtliches Vermessungswesen und eine technisch ausgereifte Kartographie zur Erstellung von exakten und maßstabsgetreuen topographischen Plänen gab, die heute die wichtigsten Medien zur Kommunikation von Grenzverläufen darstellen, schritten die vormodernen Menschen ihre Grenzen in gemeinschaftlichen „Schnadgängen“ ab und vergegenwärtigten sich gemeinsam durch das Aufsuchen der entsprechenden Grenzpunkte den Verlauf. Zweifelsfälle der Grenzziehung konnten an Ort und Stelle erörtert werden. Das Ergebnis der Begehung, die unter Teilnahme von landesherrlichen Bevollmächtigten und ortsansässigen Zeugen durchgeführt wurde, hielt man schriftlich in Protokollen fest, in denen die einzelnen Punkte der Grenze mit Hilfe von Grenzzeichen – natürlicher und künstlicher Art (z.B. Schnadsteine, Schnadbäume, Schnadkuhlen, Schnadbäche etc.) – sowie Flur- und Örtlichkeitsbezeichnungen notiert wurden, aus denen sich dann der Grenzverlauf ergab. Diese Protokolle waren auch rechtliche Grundlage bei Grenzstreitigkeiten oder -verhandlungen, die durch Verträge und Rezesse beigelegt bzw. abgeschlossen wurden.

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Sind sich die Heimatfreunde über diese historischen Wurzeln des Schnadgangs heute recht einig, so gehen die Meinungen über die Schreibweise des Wortes erheblich auseinander: Schreibt man nun Snad, Snat, Schnat oder Schnad?

Im Folgenden soll an dieser Stelle ein Vorschlag auf sprachwissenschaftlicher Basis unterbreitet werden, wie man den Begriff verschriftlichen sollte.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass es sich bei dem Ausdruck Schnad um einen niederdeutschen Begriff handelt. Damit ist dieser Ausdruck auch aus der sprachlichen Perspektive des Niederdeutschen zu betrachten und zu beurteilen.

1) d oder t – die Frage nach dem auslautenden Dental

Unterschiedliche Ansichten bestehen in der Frage, ob man das Wort Schnad mit t oder d am Ende schreiben sollte. Hier wird ein sprachliches Phänomen des Deutschen zum Problem, das in der Sprachwissenschaft als “Auslautverhärtung” bezeichnet wird. Mit diesem Fachterminus wird der lautliche Vorgang beschrieben, dass Geräuschkonsonanten (Obstruenten, also Plosive, Affrikaten und Frikative) am Ende einer Silbe (also im Auslaut) ihre Stimmhaftigkeit verlieren und stimmlos ausgesprochen werden.[2] So spricht man z.B. das Wort Eid eigentlich mit t aus, obwohl man es mit d schreibt. Um zu prüfen, ob ein Wort am Ende mit d oder t geschrieben wird, kann man sich an einer flektierten oder gebeugten Form orientieren. Als Flexion oder Beugung bezeichnet man die Änderung der Gestalt eines Wortes zum Ausdruck seiner grammatischen Merkmale bzw. der grammatischen Funktion im Satz.[3] So zeigt die flektierte Pluralform des Wortes Eid, Eide, ganz eindeutig, dass Eid mit einem d enden muss.

So sollte man auch mit dem Wort Schnad verfahren. Sein Plural ist Schnade. Damit ist zu erkennen, dass man das Wort Schnad mit d am Ende schreiben sollte.

Dass das d auch sprachhistorisch richtig ist, zeigt ein Flurname, der sich im Tecklenburger Land findet: Up’m Snoe.[4] Auch diesem Flurnamen liegt das Wort Schnad zugrunde. Auffällig ist allerdings der Ausfall des Dentals. Dieser Ausfall findet im Mittelniederdeutschen zwischen zwei Vokalen statt. Er betrifft aber ausschließlich den Laut d, nicht t! Zu vergleichen ist z.B. auch rüde > rü’e ‚Hund‘ oder lüde > lü’e ‚Leute‘.[5] Damit ist nachgewiesen, dass der Laut d im Wort Schnad auch sprachhistorisch der richtige ist.

Die Formen Schnat oder Snat, Schnaut, Snaut etc., die sich vielfach in Flurnamen finden, stammen aus einer Zeit, als es noch keine normierte Rechtschreibung gab. Die Schreibung mit t markiert hier die oben erklärte Auslautverhärtung.

2) Schnad oder Snad?

Die andere Frage besteht darin, wie der Anlaut des Wortes zu verschriftlichen ist: Schnad oder Snad? In historischen Dokumenten findet sich vielfach die Schreibung mit sn. Allerdings ist erkennbar, dass seit dem 15. Jahrhundert, verstärkt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, auch im niederdeutschen Sprachraum die Schreibung sch vor den Konsonanten n, m, l, w gebräuchlich wird.[6] Diese Entwicklung zeigt aber auch, dass das s in snad als palataler Zischlaut (sch) gesprochen wurde. Somit ist also Schnad zu schreiben und zu sprechen.

Aus diesen sprachlichen und sprachhistorischen Überlegungen ergibt sich, dass das betreffende Wort heute in der Form Schnad zu verschriftlichen ist.

[1] Der Lienener Rezess von 1656. Faksimile und Edition des ältesten Dokumentes im Gemeindearchiv Lienen (Kreis Steinfurt), bearb. u. hrsg. v. Christof Spannhoff, Norderstedt 2010.

[2] Schmidt, Wilhelm, Geschichte der deutschen Sprache. Ein Lehrbuch für das germanistische Studium, erarb. u.d. Leitung v. Helmut Langner u. Norbert Richard Wolf, 9. verb. Aufl., Stuttgart 2004, S. 259,

[3] Schmidt, Geschichte, S. 340, 343.

[4] Hunsche, Friedrich Ernst, Die bunte Truhe. Schätze aus dem Tecklenburger Land, Ibbenbüren 1968, S. 111f.

[5] Lasch, Agathe, Mittelniederdeutsche Grammatik, 2., unveränd. Aufl., Tübingen 1974, § 326.

[6] Lasch, Grammatik, § 333; Schmidt, Geschichte, S. 327f.